Wind und Wild – von Rot- Raubwild
Wildmeister Werner Siebern
Kein Grünrock tut sich selbst und dem Revier einen Gefallen damit, bei der Ausübung der Jagd das Thema Wind zu vernachlässigen. Keine Wildart bewegt sich stets gegen den Wind. Das ist praktisch unmöglich. Bei wochenlangem Westwind würden die Stücke ansonsten alle in Frankreich ankommen.
Auf eng begrenztem Raum jedoch nehmen alle Wildarten gern Umwege in Kauf, um bestimmte Äsungsflächen, Kirrungen und Suhlen gegen den Wind anzunehmen. Es ist Überlegungs-und Erfahrungssache, dass der Jäger die Ansitzplätze richtig auswählt.
Da die Ausbreitung unserer eigenen Art das Rotwild in die Wälder verbannt hat, ist die Jagd, wie kaum sonst, vom Wind abhängig. Bekanntlich ist der Wind im Wald eigentlich immer falsch.
Waldjäger versuchen das Problem mit besonders hohen Leitern und Kanzeln zu umgehen, aber das wirkt nur im Nahbereich. Der Rotwildjäger tut gut daran, beim Besteigen der hohen Leitern Handschuhe zu tragen. Er streift sonst Duftstoffe an den Leiterholmen ab, die im Nahbereich für das Rotwild wahrnehmbar sind. Ein Jagdhund hat unter dem Hochsitz nichts verloren, und sei er noch so gehorsam!
Ansonsten ist die Reaktion des Rotwildes, das Wind vom Menschen bekam, kaum zu beobachten. Die Bühne bleibt einfach leer. Fleißiges Ansitzen macht im Wald nur unnötigen Jagddruck. Besser ist die Intervalljagd. Das Rotwild kann so an den Äsungsflächen vertraut werden. Mit Kenntnis der Einstände und richtigem Einschätzen des Windes bleibt bei nur gelegentlichem Ansitz der Erfolg nicht aus. Am Abend ignoriert das Rotwild Menschenfährten auf Wegen. Am Morgen sollte der Ansitzjäger gut überlegen, wie und auf welchem Pfad er zu seinem Posten gelangt. Rotwild reagiert dann nämlich mit geordnetem Rückzug auf die Fährte des Grünrocks.
Diese Wildart verfügt, neben dem Fluchtverhalten bei menschlicher Wittrung, über besondere Fähigkeiten. Es genügt für den Ansitz nicht allein, dass der Wind passt.
Die Hirschart kann ausgezeichnet äugen, und nicht nur das: Alttiere sind in der Lage, den Kälbern beizubringen, beim Auswechseln aus der Deckung erst einmal den Blick in Richtung Hochsitz zu lenken. Eine erstaunliche Fähigkeit. Menschenfährten werden durch diese tagaktive Wildart nicht allzu viel Bedeutung beigemessen.
Füchse und Marder
Diese Raubwildarten halten sich nicht lange mit dem Prüfen von zugetragenem Menschenduft auf. Sie flüchten sofort. Menschliche Fährten in der Nacht sind ihnen äußerst suspekt. In weiten Sprüngen geht es ab zur nächsten Deckung.
Hasen und Kaninchen
Kaninchen sind an ihre Erdbaue gebunden. Ihre kleine Lunge lässt nur kurze Fluchten zu.
Der Ansitz mit der Kleinkaliber-Büchse und Subsonic-Munition kann super Strecken bringen, aber der Wind muss unbedingt beachtet werden. Ist dieser falsch, so kommt keiner der grauen Flitzer in Anblick.
Hasen verlassen sich gern auf ihre muskulösen Hinterläufe, die sie in 2 Sekunden auf Höchstgeschwindigkeit katapultieren. In der Rangliste der möglichen Reaktionen auf menschliche Wittrung liegen sie deshalb auf dem vorletzten Platz.
Den letzten Platz belegen die Gefiederten. Federwild hat andere Möglichkeiten, um sich vor Feinden zu schützen. Es verlässt sich vor allem auf die ausgezeichneten Augen, die den unseren weit überlegen sind. Gleichwohl muss der Jäger beim Ansitz auf Federwild den Wind beachten: Denn Tauben, Enten, Gänse & Co. landen und starten immer gegen den Wind. Die Königsdisziplin ist fraglos der Ansitz auf Krähen, denn die Deckung muss perfekt sein.
Ist der Wind nicht eindeutig, muss auch mal ein Ansitz abgebrochen oder verschoben werden. Wochenlanges Ankirren darf ein unerfahrener Grünrock nicht einfach aufs Spiel setzen. Ein Windprüfer gehört immer zur Ausrüstung des Ansitzjägers. Sei dies nun ein Fläschchen für Seifenblasen oder losgelassene Löwenzahnsamen aus der Streichholzschachtel – egal! Wenn der Wind nicht passt oder die tollsten Kapriolen schlägt, ist es Zeit, den Hochsitz zu verlassen.
Bei Gesellschaftsjagden wird Schalenwild fast immer den Einstand gegen den Wind verlassen, egal aus welcher Richtung die Treiber kommen. Je nach Planung der Jagd sollte daher die Windseite nicht direkt mit Schützen besetzt werden, sondern erst in weiterer Entfernung. Hat der Jagdleiter jedoch nur wenige Schützen zur Verfügung, kann es bei Schwarzwildtreiben durchaus sinnvoll sein, einige Jagdhelfer so abzustellen, dass die Sauen auf jeden Fall Wind bekommen. Diese flüchten dann lieber durch die anrückende Treiberwehr nach hinten, wo mit den wenigen Schützen die Rückwechsel besetzt sind.