Altes Gras für neues Leben

Niederwildhege auf Brachen – Was im Sommer neben dem Mais kaum auffällt, kann nach der Ernte bis zum Frühjahr eine wertvolle Deckung sein.

Niederwildhege

Niederwildhege auf Brachen: Niederwildjäger kennen das: Welche Wildackermischung ist die „richtige“, wo gedeiht sie und wie wird sie am besten gepflegt? Und überhaupt: Woher gerade in Gegenden mit intensiver Landwirtschaft die Flächen nehmen? Um für diesen Problemkreis möglichst einfache und kostengünstige Lösungen zu entwickeln, hat der Landesjagdverband NRW in seinem „Biotop- und Artenschutzzentrum“ bei Rheinberg seit 1993 mit verschiedenen Saatgutzusammensetzungen speziell für Stilllegungsflächen experimentiert. Und nicht nur dort: Über den gesamten Zeitraum führte der LJV Hegeseminare durch, deren Teilnehmern jeweils die Analysen sowie Proben der eingesetzten Mischungen zur Verfügung gestellt wurden. Einzige Bedingung: Die Beteiligten mussten Saatzeitpunkt, Einsaattiefe, Pflege und ihre Erfahrungen dem Artenschutzzentrum zurückmelden. Insgesamt wurden mehr als 4 000 Hektar „Testflächen“ Hektar) rekrutiert. Allein die in Rheinberg erzielten Erfolge waren bereits beachtlich. So kamen, mit stetig steigender Tendenz insbesondere beim Fasan, im langjährigen Durchschnitt jährlich 50 Hasen, 211 Kaninchen, 63 Fasane und drei Füchse alleine auf den Flächen des Artenschutzzentrums zur Strecke – gerade mal 152 Hektar. Zuletzt war die Fasanenstrecke gar auf 78 angestiegen. Für den Leiter des Artenschutzzentrums, Revieroberjäger Thomas Berner-Bialas, basiert der Erfolg auf den Auswertungen der Tests, wodurch letztlich drei Mischungen übriggeblieben sind, die nunmehr unverändert in ihrer Zusammensetzung als auch Anwendungsweisen vertrieben werden. Erkennbare Quintessenz – die Sorten und der Anteil enthaltener Gräser, die Art der Einsaat und „Nicht-Pflege“ der Flächen bestimmen den Erfolg.

Prämisse bei der Entwicklung der Mischungen, so Berner-Bialas war die Eignung für Stilllegungsflächen, weil der Jagd hier ein ungeahntes Potenzial offen steht. Im Rahmen der EU- Stilllegungsprogramme werden in Deutschland jährlich eine Million Hektar aus der Bewirtschaftung genommen. Zwar werden etwa 20 Prozent sogleich wieder für nachwachsende Rohstoffe genutzt,
immerhin verbleibt damit aber ein Anteil von zirka 800 000 Hektarn mehrjähriger Brachflächen. Das Saatgut muss ohne die auf Brachen verbotene Düngung und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
gedeihen, im Hinblick auf Entwicklung und Nutzung benachbarter Flächen Unkräuter unterdrücken, darf nicht viel kosten und soll dem Wild neben Äsung vor allem langjährig gute Deckung bieten. Dies führte in NRW zu drei „Wildschutzmischungen“ (WSM): Je nach Dauer der Stilllegung für „einfache Brachen“ sowie auch als Zwischenfrucht im Rapsanbau kommen nach Berner-Bialas Erfahrungen die „WSM 1“ und „WSM 2“ in Frage. Sie erzielten für mindestens 24 beziehungsweise 27 Monate gute Erfolge, könnten bei längerer mehrfacher Folge einfacher Brachen aber auch problemlos bis zu fünf Jahren liegen bleiben, so der Leiter des Artenschutzzentrums. Für die Anlage längerer Stilllegungen, den als „Dauerbrachen“ deklarierten Flächen, sei die „WSM 3“ mit ihrem deutlich höheren Gräseranteilen das Mittel der Wahl. Das Saatgut laufe bereits im ersten Jahr gut auf und entwickele mit seinem hohen Anteil an Rohrglanzgras nach zwei bis drei Jahren eine optimale Deckung, die bis zu 20 Jahre (!) besteht. Der Pflegeaufwand dieser Mischungen beschränkt sich darauf, eventuell auftretende stärkere Horste der Ackerkratzdistel auszusicheln, im übrigen die Flächen aber nicht zu mulchen oder zu schlegeln. Als Aussaatflächen kommen bei allen Mischungen auch kleine EU-Brachen in Betracht – Flächen von bereits 0,1 Hektar sind förderungsrechtlich möglich. „Die nach unserer Erfahrung ideale Größe von 0,3 Hektar als Deckungsfläche“, so der Leiter des LJV-Artenschutzzentrums Thomas Berner-Bialas, „lässt sich schon durch die Bildung von Ackerrandstreifen erreichen.“ Bereits ein drei Meter breiter Streifen um einen Acker von 400 mal 100 Metern bringe diese 0,3 Hektar zusammen, so seine Rechnung. Gerade hier entscheidet für ihn die Anlage vor allem von Deckung: „Eine für Hase
und Fasan ausreichende Grünäsung ist selbst bei intensiver landwirtschaftlicher Nutzung nicht das Problem“. Nehme das Wild allerdings diese Nutzflächen gerade bei Wintergetreide oder Grünfutter an, gingen wenige Wochen später die wichtigen ersten Gelege und Jungtiere durch Ausmähen verloren. „Deswegen kommt es darauf an, die angelegten Flächen und Streifen nicht zu mulchen, damit sich auch die enthaltenen Gräser so entwickeln können, dass sie dem Wild genügend Äsung und Deckung für das Brutgeschäft vor dem Aufwuchs auf den Nutzflächen bieten“, erklärt Berner-Bialas.

Deckung bietet am besten das „alte Gras“, wobei „alt“ in doppeltem Sinne gilt. Denn zum einen hatten Knaulgras, Wiesenlieschgras und vor allem das Rohrglanzgras in früheren Zeiten erhebliche
landwirtschaftliche Bedeutung. So wurde letzteres im alten Preußen als Heu für die zahlreichen Armeepferde angebaut und fand sich auch auf den Wildäckern Romintens. Wesentlich entscheidender bedeutet „alt“, dass diese mehrjährigen horstbildenden Gräser ungemäht, ungemulcht und ungeschlegelt möglichst lange für das Niederwild zur Verfügung stehen. „Wer hier keinen Gefallen an den braunen Steppen im Winter findet und meint, er müsse diese Flächen pflegen, handelt kontraproduktiv“, so Thomas Berner-Bialas. Denn während das Rohrglanzgras im Winter abstirbt und als braunes Gerüst stehen darbleibt, bilden sich in den Horsten im zeitigen Frühjahr neue schmackhafte Triebe. Damit findet das Wild dort nicht nur nach dem Ernteschock eine gute Deckung, sondern schon vor Aufgehen der Saaten auf den Nutzflächen im Folgejahr ebenfalls Äsung, und kommt so erst gar nicht in die Situation, seine Kinderstuben auf künftigen „Kreiselmäherpisten“ anzulegen. Allerdings braucht gerade Rohrglanzgras nach der Einsaat zwei bis drei Jahre, ehe es eine nachhaltig deckungsreiche Fläche bildet. Bis dahin sollen „schnellere“ Arten den gwünschten Effekt schaffen. So finden sich in der für mehr als eine Dekade entwickelten „WSM 3“ wie schon in den zuvor entwickelten „WSM 1“ und „WSM 2“ auch Gelbsenf, Ölrettich sowie Phacelia für einen schnellen Äsung bietenden und Unkraut unterdrückenden Aufwuchs bereits im ersten Jahr. Im zweiten Jahr schlagen dann mit den mehrjährigen Äsungskomponenten Rot-, Weiß- und Hornschotenklee neben Glatthafer auch die ersten Knaul- und Lieschgräser für eine horstbildende Deckung durch. Vom zweiten Jahr an setzt sich dann sukzessive auch das in der „WSM 3“ zusätzlich enthaltene heimische Rohrglanzgras Phalaris arundinacea durch, das etwa vom dritten Jahr an die Äsungskomponenten endgültig dominiert. Daneben ist die Mischung zur Blütezeit auch für viele Insekten interessant, deren Larven gerade für die erfolgreiche Aufzucht des Fasanen- und Rebhuhnnachwuchses wichtig sind. Gegen dichte mehrjährige Bestände von Quecken und Ackerkratzdisteln kommt auch diese Mischung nicht an. Vor einer Einsaat der Mischungen empfiehlt sich aber nicht nur ein Durchpflügen der Flächen, um in der Bodenoberfläche vorhandene Unkrautsamen tiefer zu bringen. Insbesondere der Quecke sollte man mit chemischen Mitteln begegnen, solange es sinnvoll und gestattet ist. Denn auf Stilllegungen ist der Einsatz von Herbiziden grundsätzlich nicht erlaubt.
Die Einsaat der Wildschutzmischungen erfolgt nur sehr flach, damit ihr Aufwuchs dicht genug wird, noch ehe tiefer liegende Unkräuter sich durchsetzen können. Neben der Frosthärte der Mischungen eignet sich die „WSM 3“ wegen ihres hohen Rohrglanzgrasanteils nach Angaben von Berner-Bialas vor allem auf sowohl sehr trockenen als auch staunassen Böden. Damit kommt sie auch an Gewässern im Rahmen der Uferrandprogramme in Betracht. Für größere zusammenhängende Wildschutzflächen empfiehlt sich eine Unterteilung in mehrere kleine Streifen – je mehr verschiedene Mischungen beieinander, desto besser kann das Wild seine Bedürfnisse ganzjährig erfüllen. Bereits bei nur fünf Hektar Flächen je Revier sind nach den Erfahrungen Berner-Bialas deutliche Zuwächse beim Niederwild zu erwarten. Je nach Größe der insgesamt zur Verfügung stehenden Flächen und ihrer Aufteilung auf die drei Wildschutzmischungen hat Berner-Bialas Kosten zwischen 13 Euro und 55 Euro je Jahr und Hektar ermittelt. Bezogen sind seine Angaben auf die Preise der unter „Wildschutzmischung nach ROJ (DJV) T. Berner-Bialas“ verkauften „Kiepenkerl“- Preisangaben. Die Firma „Kiepenkerl“ hat bei den Feldversuchen des Landesjagdverbandes als Kooperationspartner fungiert und sich verpflichtet, die von Berner-Bialas kreierten Mischungen in stets gleichbleibender Zusammensetzung zu liefern und dabei die Qualität der verwendeten Saaten zu gewährleisten. „Natürlich kann sich das auch jeder selbst mischen, die Zutaten und Mengen sind ja kein Geheimnis“, so der Leiter des Artenschutzzentrums. Er bezweifelt allerdings, dass sich die Kosten dadurch weiter drücken lassen: „Einzelne Komponenten der Mischungen sind extrem teuer, und wir mussten anfangs bis zu drei Firmen kontaktieren, um die Zutaten zusammenzubekommen“, erinnert sich Berner-Bialas. Wichtig sei bei der Wahl des Vertriebspartners gewesen, dass den Anwendern bereits beim Kauf der Wildackermischungen Empfehlungen zur Bodenvorbereitung und Aussaat an die Hand gegeben werden, erklärt der Revieroberjäger. Diese Ergebnisse sind Ende Dezember 2004 im Rahmen der Exkursion auf den Flächen des LJV NRW präsentiert worden. Die Veranstaltung soll den Auftakt zu weiteren Schulungsangeboten für Landschaftsgestaltung und Biotophege bilden und war zunächst an Berufsjäger, Amtsträger und die Jagdpresse gerichtet. Dem entsprechend war neben Vertretern der „Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten“ (LÖBF) auch der hauptamtliche Naturschutz mit den Leitern einiger Unterer Landschaftsbehörden vertreten. Dass das Bemühen der Jäger zur Biotopverbesserung trotz Nutzungsinteressen kompetenter ist als das, was zu dem Thema oft von den Naturschutzverbänden gefordert wird, erkannte in der Schlussdiskussion schließlich auch einer der Repräsentanten der Unteren Landschaftsbehörde. Er habe über die Möglichkeiten einer sinnvollen Zusammenarbeit mit Jägern und deren Engagement eine Menge gelernt und wünsche sich, Mitarbeiter seiner Behörde regelmäßig zu den Fortbildungsangeboten des Landesjagdverbandes in Sachen Niederwild- und Biotophege schicken zu können. „Natur Natur sein lassen hilft eben nicht generell,“ so Berner-Bialas, „auf kleinen, oft neu anzulegenden Flächen – gerade wenn sie in Nachbarschaft zu intensiv genutzten Bereichen liegen – sollten spezielle Einsaaten erfolgen. Dieses Verständnis und die daraus resultierende Akzeptanz setzt sich immer mehr in der Zusammenarbeit zwischen Jagd und Naturschutz durch!“
Der Erfolg der „WMS 3“ ließ im LJV-Revier
Rheinberg nicht lange auf sich warten: eine
deutliche Steigerung der Niederwildstrecke
FOTOS: THOMAS BERNER-BIALAS, FRANK MARTINI

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