Trotz intensiver Bemühungen sieht es so aus, als ob der Schwarzwildbestand in zahlreichen Gebieten unseres Landes nicht in den Griff zu bekommen ist. Abgesehen von einer noch immer regelmäßig zu niedrigen Zahl erlegter Frischlinge, wird auch der anspruchsvolle Bachenabschuss sehr zurückhaltend getätigt. Prof. Hans-Dieter Pfannenstiel erläutert Hintergründe und gibt Tipps für die Praxis.
Hast Du schon gehört? Rainer hat in Susdorf eine Bache geschossen!“ So oder so ähnlich hört sich ein Satz an, den wir wohl fast alle schon mehr oder minder oft gehört haben. Denn „eine Bache geschossen“ zu haben, ist in weiten Teilen der Jägerschaft anscheinend noch immer eines der schwerwiegendsten jagdlichen Vergehen überhaupt. Die höheren Altersklassen, der im „Pulverdampf“ ergrauten Waidgenossen, haben es eben mit der jagdlichen Muttermilch eingesogen: Bachen sind tabu! Hätte Rainer beispielsweise eine Ricke erlegt, so hätte man das wohl keiner Erwähnung für würdig befunden, obwohl auch die Ricke wie die Bache mit hoher Wahrscheinlichkeit zumindest beschlagen, eventuell auch führend war. Es geht aber meistens eben immer wieder nur darum, „eine Bache geschossen“ zu haben. Das ist aber vermutlich deshalb nicht verwunderlich, weil auch heute noch mit den Schwarzkitteln nach Grundsätzen verfahren wird, die aus einer Zeit stammen, in der nur etwa zehn Prozent des heutigen Schwarzwildbestandes ihre Fährten in unseren Revieren gezogen haben. Hier macht sich die eigentlich positive Eigenschaft vieler Jäger, nämlich konservativ, also bewahrend zu sein, eher negativ bemerkbar. Das Tabu des Bachenabschusses ist heute aber nicht mehr nachvollziehbar, verfügt das Schwarzwild von allen heimischen Schalenwildarten doch über das mit großem Abstand höchste Reproduktionspotenzial. Unter den aktuell gegebenen Lebensraumbedingungen muss im Durchschnitt mit einem jagdlich zu nutzenden Zuwachs von mindestens 200 Prozent bezogen auf den Gesamtbestand(!) gerechnet werden. Die Zahlen des Kollegen Prof. Pohlmeyer belegen für sein Untersuchungsgebiet in Niedersachsen sogar knapp über 300 Prozent.
Der wesentliche Unterschied zu den anderen Schalenwildarten liegt darin begründet, dass die Zahl der Nachkommen pro Bache deutlich höher ist und beim Schwarzwild bereits auch sehr viele Frischlinge, also die Altersklasse 0, regelmäßig an der Reproduktion beteiligt sind, was zum Beispiel auf Rehkitze oder Rotwildkälber nur in sehr seltenen Ausnahmefällen zutrifft. Folglich gehört auch die Beobachtung führender Schmalrehe oder Schmaltiere zu den absoluten Raritäten in freier Wildbahn, führende Frischlinge und Überläufer aber zur Normalität. Was wiederum bedeutet, dass eine weitgehende Abschöpfung des Zuwachses, vor allem in der Frischlingsklasse, beim Schwarzwild besonders wichtig ist, um den weiteren Bestandesanstieg zu bremsen. Doch geschieht dies leider nicht in dem erforderlichen Maße. Und zur Reduktion der Bestände, wozu die Jägerschaft mental derzeit noch kaum Bereitschaft zeigt, muss natürlich noch weit mehr als der Zuwachs abgeschöpft werden. Bei der Bewirtschaftung von Rot- und Damwild wird allgemein akzeptiert, dass nicht nur der Zuwachs abgeschöpft werden soll beziehungsweise muss, sondern auch der Anteil weiblichen Wildes an der Gesamtstrecke höher sein muss als jener der männlichen Stücke. Dies vor dem Hintergrund, dass männliches Wild aufgrund seiner geschlechtsspezifischen Aktivitäten einer höheren biologischen Sterblichkeit unterliegt als das weibliche Wild. Dort, wo genaue Streckenstatistiken auch beim Schwarzwild geführt werden, zeigen sich jedoch flächendeckend offensichtliche Fehlentwicklungen. Auch kann man sich nur wundern, welche Defizite die Dokumentation der Schwarzwildstrecken in manchen Bundesländern aufweisen. Abgesehen davon, dass der Anteil an Frischlingen beider Geschlechter an der Gesamtstrecke regelmäßig deutlich zu gering ist, wird im Unterschied zu allen anderen Schalenwildarten bei den Sauen alljährlich deutlich mehr männliches als weibliches Wild erlegt. Das männliche Geschlecht unterliegt – wie erwähnt – bei allen Schalenwildarten einer höheren natürlichen Mortalität als das weibliche, was bereits ohne jagdliche Einflussnahme dazu führt, dass in den höheren Altersstufen die weiblichen Stücke deutlich überwiegen. Aus gutem Grund sehen deshalb die meisten Hegerichtlinien einen höheren Anteil weiblichen Wildes im Abschuss vor. Ausgerechnet beim Schwarzwild jedoch, bei jener Schalenwildart mit der höchsten Reproduktionsrate, wird jährlich deutlich mehr männliches als weibliches Wild erlegt! Das soll nicht etwa heißen, dass zuviel männliches Wild zur Strecke kommt. Nein, es ist nur so, dass wir deutlich mehr weibliches Schwarzwild, sprich Überläufer- und ältere Bachen, erlegen und damit auch den Gesamtabschuss steigern müssten. Dieses Manko, das erst durch genaue Abschussstatistiken deutlich wird, ist zweifelsohne auch ein Grund, warum die Schwarzwildbestände in vielen Regionen nach wie vor „auf wundersame Art und Weise“ ansteigen. Zur Verdeutlichung der Problematik sollen an dieser Stelle die Streckenstatistiken des Landes Brandenburg aus den Jagdjahren 1995 bis 2003 herangezogen werden. Brandenburg gehört mit Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland- Pfalz zu den vier Bundesländern, in denen alljährlich die größten Sauenstrecken erreicht werden. Im Jagdjahr 2002 wurde in Brandenburg mit 79 036 Sauen die bisher höchste Strecke erreicht, die jemals in einem deutschen Bundesland registriert wurde. Die Fallwildzahlen sind zwar Bestandteil der Gesamtstrecke, wurden aber hier nicht berücksichtigt, da sie nicht nach Geschlecht und Alter bekannt sind. Ihr Anteil an der Gesamtstrecke ist zudem weitgehend unbedeutend und lag im zurückliegenden Jagdjahr zum Beispiel unter einem Prozent. Beginnen wir zunächst mit den Frischlingen. 243 322 Frischlinge wurden in dem genannten Zeitraum insgesamt erlegt. Davon waren 48 Prozent weiblich und 52 Prozent männlich. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist beim Schwarzwild das Geschlechterverhältnis bei der Geburt geringfügig zugunsten der männlichen Frischlinge verschoben. Insofern ist die Verteilung der Strecke durchaus als „normal verteilt“ zu bezeichnen. Bei der Diskussion, welcher Frischling einer Rotte zuerst erlegt werden soll, der schwächste oder ein anderer, wird von den allermeisten Jägern immer wieder darauf verwiesen, dass die stärkeren Frischlinge meist männlich seien. Mit dem Abschuss des schwächsten Frischlings, der ja nach dieser Logik weiblich sein müsste, hätte man demnach einen potenziellen Zuwachsträger erlegt. Doch ist das in der Jagdpraxis auch wirklich zutreffend? Würden tatsächlich immer die schwächsten Frischlinge vorrangig erlegt und diese wären wirklich überproportional häufig weiblichen Geschlechts, müssten dann in der Streckenverteilung nicht die weiblichen Frischlinge deutlich überwiegen? Besonders gering aber ist der Anteil weiblicher Sauen an der Überläuferstrecke. 56 Prozent oder 113 735 Überläuferkeilern stehen nur 44 Prozent oder 88 292 Überläuferbachen gegenüber. Was eine Differenz von 25 443 ergibt. Das wird einerseits daran liegen, dass die männlichen Überläufer, nachdem sie die Mutterrotte verlassen haben, ohne die Führung der Bache zunächst weit umherziehen und folglich leichter zu erlegen sind. Andererseits ist der Anteil der Überläuferbachen vermutlich aber auch deshalb viel zu gering, weil befürchtet wird, dass man versehentlich eine beschlagene oder gar eine führende Überläuferbache erlegen könnte.
Die führende Überläuferbache ist selbstverständlich tabu, solange ihre Frischlinge noch gestreift sind beziehungsweise weniger als 20 Kilogramm wiegen. Der Hemmung, eine beschlagene Überläuferbache zu erlegen, liegen bei den meisten Jägern auch sicher ehrenhafte Motive zu Grunde. In der gegenwärtigen Situation sind bei realistischer und verantwortungsvoller Betrachtungsweise solche Hemmungen jedoch gänzlich fehl am Platze. Wenn wir Ende Januar noch Ricken oder Rot- und Damtiere erlegen, sind diese auch beschlagen und tragen bereits Föten beträchtlicher Größe. Warum also zögern wir beim Schwarzwild, beschlagene Bachen zu erlegen? Die jetzt vor lauter Waidgerechtigkeit aufstöhnenden Jagdmoralpäpste haben angesichts des Vergleichs mit Ende Januar erlegten weiblichen Stücken des wiederkäuenden Schalenwildes ganz eindeutig schlechte Karten! Abgesehen davon, dass eine solche Vollschonung keinen Sinn macht, wäre der Abschuss auch hochbeschlagener Bachen ohnehin nicht gänzlich zu vermeiden. Denn in den Monaten von etwa Januar bis Mai sind die Überläuferbachen fast ausnahmslos beschlagen beziehungsweise hochbeschlagen. Hinzu kommt aber, dass dies mittlerweile auch bei einem beträchtlichen Teil der Frischlingsbachen der Fall ist. Angesichts des absolut notwendigen Jungwildabschusses beim Schwarzwild also, den wohl niemand ernstlich in Frage stellen kann, werden zwangsläufig immer wieder auch hochbeschlagene Bachen zur Strecke kommen. Dies allein schon deshalb, weil zumindest bei den Frischlingen das Geschlecht nur unter sehr günstigen Bedingungen einwandfrei anzusprechen ist. Und wir müssen einfach lernen, bei der weiter anhaltenden „Sauenexplosion“ den Abschuss einer trächtigen Bache als notwendig zu akzeptieren! Um den Abschuss beschlagener und hochbeschlagener Bachen weitestgehend zu vermeiden, müssten wir die Bejagung (auch der Frischlinge!) in der Zeit von etwa Januar bis Mai komplett einstellen, was zweifelsohne noch dramatischere Bestandeszuwächse zur Folge hätte. Doch zurück zu den Brandenburger Strecken. In der Altersklasse 2, also bei den Stücken ab zwei Jahren, ist der Anteil der Bachen mit 46 Prozent erneut deutlich geringer als die Zahl der zweijährigen oder älteren Keiler. Dies obwohl er angesichts der geltenden Abschussrichtlinie mit mindestens zehn Prozent vom Gesamtabschuss mindestens doppelt so hoch(!) sein sollte wie jener der Keiler mit maximal fünf Prozent. Dabei ist hinter vorgehaltener Hand immer wieder der Einwand zu hören, dass die Streckenstatistik gerade in dieser Altersklasse sehr fehlerhaft sei. Tatsächlich würden mehr Bachen der Altersklasse 2 geschossen werden, die sich aber wegen der noch immer weit verbreiteten „Bachenabschussbremse“ auf der Streckenliste in Überläuferbachen oder gar männliche Stücke verwandeln. Wenn dem aber tatsächlich so wäre, müsste die derzeitige Situation noch weitaus dramatischer beurteilt werden, denn dann wäre die Zuwachsrate noch höher als vermutet.
Diese Zahlen zeigen in aller Deutlichkeit, wie weit wir mit den Schwarzwildstrecken von den geltenden Richtlinien abweichen und folglich den selbst gesetzten und gesetzlich geforderten Zielen hinterherhinken. Dies liegt vor allem auch daran, dass in den Altersklassen 1 und 2 zu wenig weibliche Stücke erlegt werden; ganz abgesehen davon, dass die Frischlingsstrecke viel zu niedrig ist. Dies wiederum führt dazu, dass zu viele Bachen das Überläuferalter erreichen und dann fast ausnahmslos reproduzieren. Besteht eine Rotte aus nur einer Bache mit Frischlingen, ist diese Bache selbstverständlich zu schonen. Wenn im Winterhalbjahr beim Ansitz aber in einer Rotte mehrere Bachen mit Frischlingen über 20 Kilogramm kommen, sollte bei solchen Gelegenheiten unbedingt auch eine schwächere Bache aus dem Verband erlegt werden. Nichtführende Überläuferbachen, auch sichtbar beschlagene, sind zu jeder Jahreszeit vorrangig zu erlegen. Überläuferbachen bilden in vielen Regionen einen beträchtlichen Teil der Populationen und tragen folglich in erheblichem Maße zur Reproduktion bei. Grundsätzlich sollten bei den Überläufern mehr weibliche als männliche Stücke erlegt werden. Das Gegenteil ist aber leider der Fall. Da die Überläuferbachen im Gegensatz zu den gleichaltrigen Keilern in den allermeisten Fällen weiterhin in der Rotte leben, gestaltet sich die Unterscheidung älterer Bachen von gut entwickelten Überläuferbachen nicht immer problemlos. So sind Überläuferbachen von über 70 Kilogramm bereits im Spätsommer und Herbst in Brandenburg keine Seltenheit! Unterscheidungsmerkmale zu älteren Bachen sind vor allem die noch weitgehend gerade Rückenlinie sowie die relative Hochläufigkeit der einjährigen Stücke. Frischlingsbachen, außer den führenden, sollten ganzjährig, wie alle Frischlinge, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gestreckt werden. Schon wieder höre ich die waidgerechten Sauenjäger: „Wir sind doch keine Kindermörder; Frischlinge unter 20 Kilogramm schießen wir nicht!“ Genau das aber muss man tun – die Frischlinge früh und scharf bejagen! Sofern nicht ausreichend viele gestreifte Frischlinge ohne Gewichtsbegrenzung nach unten zur Strecke kamen, ist die Zeit, wenn die Bachen erneut frischen und sich zu diesem Zweck aus der Rotte zurückziehen, dafür besonders günstig. Die vorjährigen Frischlinge ziehen dann als Frischlings- beziehungsweise ab dem 1. April als Überläuferrotten durch die Reviere und sind vergleichsweise einfach anzusprechen und zu erlegen.
Wird eine scharfe Frischlingsbejagung wörtlich genommen und umgesetzt, kommen bereits im Spätsommer auch die ersten nicht mehr führenden älteren Bachen in Anblick und sollten dann ohne zu zögern erlegt werden. Für den zu tätigenden Bachenabschuss stellen solche Fälle sicherlich den Optimalfall dar. Diese nicht mehr führenden Bachen verhalten sich auch anders als solche, die gerade Frischlinge im Wurfkessel haben. Sie werden ruhiger, wenn der Verlust der Frischlinge bereits einige Zeit zurückliegt, und sie sind häufiger und länger unterwegs. Andererseits sollte man sich unabhängig von der Jahreszeit, selbstverständlich aber nur im Rahmen der Jagdzeit, nicht scheuen, auch aus Rotten, in denen mehrere Bachen mit nur noch wenigen Frischlingen zusammenleben, die jeweils schwächste aus dem Verband zu erlegen, sofern die Frischlinge bereits 20 Kilogramm oder mehr auf die Waage bringen. Die Gefahr, dabei die Leitbache zu strecken ist kaum gegeben, denn die offenbart sich durch ihr Verhalten in solchen Rotten selbst relativ unerfahrenen Schwarzwildjägern weitgehend problemlos. Gerade beim Anpirschen von Rotten in der Offenlandschaft ist die Leitbache an ihrem Verhalten auch bei Mond gut anzusprechen. Wem das Kapitel Bachenabschuss wegen der Probleme beim Ansprechen zu heikel ist und wer deshalb keine Bachen erlegt, der muss seiner Verantwortung durch frühes und scharfes Bejagen von Frischlingen gerecht werden. Man muss aber mindestens 80 Prozent eines Frischlingsjahrgangs – nicht 80 Prozent Streckenanteil(!) – schaffen, wenn man ein weiteres Anwachsen des Bestandes vermeiden will. Zum Abschluss noch ein kurzer aber notwendiger Satz zur Kirrung: Wenn die Kirrung ein legales und effektives Mittel zur Bejagung bleiben soll, muss wirklich jeder von uns endlich einsehen, dass Schwarzwild bei den gegebenen Lebensraumbedingungen wirklich kein zusätzliches Futter benötigt. Jedes Gramm zuviel an der Kirrung steigert unnötigerweise das ohnehin hohe Fortpflanzungspotenzial der Sauen. Oft ist auch die Zahl der Kirrungen im Vergleich zu den im Revier aktiven Jägern unverhältnismäßig hoch. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass mit jeder Kirrung zuviel die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass die Sauen gerade dort kommen, wo man selbst ansitzt. Und keinesfalls sollte man sich die Sauen durch Kirren dorthin locken, wo man sie am wenigsten braucht, vor allem nicht in die Offenlandschaft des Niederwildreviers.