Fangschuss – Gelobt sei, was wirkt

Fangschusskaliber: Beim Schuss auf krankes Wild ist eine schlagartige Stoppwirkung und maximale Sicherheit gefragt. Aber welche Waffen und Munition kommen dafür in Frage? Wir machen die Probe auf‘s Exempel.

Claudia Elbing, Michael Schmid, Andreas Bach
Die Sau hat mich angenommen. Das ist bereits das fünfte Mal in dieser Saison“, erzählt Erwin, ein befreundeter Schweißhundeführer, beim Schüssel treiben. Mit dem Rücken zum Bullerjan und dem Linseneintopf vor der Nase verliert so manche Begegnung im Unterholz ihren Schrecken. Doch diese Statistik lässt den „Hundeführertisch“ aufhorchen. Wir und die beiden anderen bei der Drückjagd eingesetzten Gespanne hatten in der letzten Zeit nur selten „Tuchfühlung“. Wie kommt es, dass Erwin immer die Aggressiven erwischt? Die Frage nach der verwendeten Fangschusswaffe bringt uns auf die Spur. Dem alten Routinier ist die Büchse zu sperrig, seit einiger Zeit führt er einen Revolver im Kaliber .357 Magnum. „Damit ist man viel beweglicher“. Die Kehrseite der Medaille: Kaum ein Stück liegt im Knall. „Meist muss ich die ganze Trommel leer schießen, bis der ‚Ringelreihen‘ aufhört“. Zufall oder falsch bewaffnet? Hier scheiden sich die Geister. Für den einen ist die „Kurze“ das Nonplusultra, der andere schwört auf seine Nachsuchenbüchse. Fakt ist: Leistung und Ziel ballistik unterscheiden sich bei Lang- und Kurzwaffen erheblich. Büchsen in klassischen Schalenwildkalibern bringen auf Fangschussdistanz zwischen 2 500 und 5 000 Joule ins Ziel. Ihre Geschosse wirken aufgrund hoher Energie und Geschwindigkeit in zwei Komponenten:
1. Permanente  Wundhöhle:  Beim Durchdringen des Wildkörpers erzeugt das Projektil einen Schusskanal. In seiner direkten Umgebung werden Haut, Muskeln, Blutgefäße und Organe mechanisch geschädigt. Form und Ausprägung der permanenten Wundhöhle sind wesentlich vom Geschossaufbau abhängig:
. Vollmantelgeschosse und Solids bleiben beim Durchdringen des Wildkörpers form- und massestabil. Eine geringfügige Erweiterung des Schusskanals kann durch Trudelbewegungen (bevorzugt bei Spitzgeschossen) entstehen.
. Teilzerlegungsgeschosse geben beim Durchdringen des Wildkörpers Splitter ab. Diese erweitern kegelförmig den Schusskanal. Ein stabiler, definierter Restkörper steht für sicheren Ausschuss. Maximale Energieabgabe garantieren schnell ansprechende Projektile mit hohem Splitteranteil.
. Deformationsgeschosse wirken durch Querschnittsvergrößerung. Die aufpilzende Spitze erweitert mit zunehmender Eindringtiefe den Schusskanal. Je schneller und ausgeprägter die Deformation, um so höher der Energietransfer. Restgewichte von mehr als 80 Prozent garantieren Tiefenwirkung.
. Einfache Teilmantelgeschosse reagieren je nach Widerstand im Wildkörper wie Teilzerlegungs- oder Deformationsprojektile. Bei Knochentreffern ist eine vollständige Zerlegung mit Mantel-Kern-Separation möglich. Aufgrund ihres instabilen Aufbaus ist die Wirkungsweise schwer kalkulierbar.
Langwaffe
Handhabung: In „Normallänge“ sperrig, bei kurzer Baulänge (unter 100 Zentimeter) und spezieller Riemenbefestigung (mündungsbündig links) angemessen führig. Hohe Trefferleistung durch  beidhändigen, stabilen Anschlag (besonders geeignet: Drückjagd- oder Rotpunktvisier). Eventuell vorhandene Handspannung reduziert das Unfallrisiko. Repetierer: Hohe Magazinkapazität und Feuergeschwindigkeit.
Selbstladebüchse: Hohe Feuergeschwindigkeit, anfällig für Ladehemmungen, geringe Magazinkapazität, auto matischer Ladevorgang bedeutet gesteigertes Unfallsrisiko.
Kipplaufwaffe/Kombinierte: Umständliches Nachladen, geringe Feuergeschwindigkeit
Kurzwaffe
Handhabung: Führig, geringes Gewicht, kann im Holster getragen werden; einhändiges Schießen ist möglich, hohe Beweglichkeit beim Zielvorgang im Unterholz und in „Nahkampfsituationen“;instabiler Anschlag, reduzierte Trefferwahrscheinlichkeit, hohe Übungsschwelle
Pistole: Hohe Magazinkapazität und Feuergeschwindigkeit, flache Bauweise somit optimal für verdeckte Tragweise, anfällig für Ladehemmungen, automatischer Ladevorgang, daher gesteigertes Unfallrisiko
Revolver: Gute Bedienungs- und Funktionssicherheit, vergleichsweise hohe Energie bei 4-Zoll-Lauf, eingeschränkte Munitionskapazität, fummeliges Nachladen, hohes Abzugsgewicht bei Double-Action

2. Temporäre Wundhöhle: Bei hohen Geschwindigkeiten (über 500 Meter pro Sekunde) erzeugen Geschosse zusätzlich zu mechanischen Verletzungen eine ausgeprägte temporäre Wundhöhle. Dabei findet rund um den Schusskanal eine kurzzeitige Gewebe und Flüssigkeitsverdrängung bis zum  30-fachen Kaliberdurchmesser statt. Dieser durch hydrodynamische Effekte verursachte „Prellschlag“ führt zu massiven Organschädigungen und Vitalitätseinschränkungen. Büchsengeschosse weisen auf Fangschussdistanz Geschwindigkeiten zwischen 700 und 900 Meter pro Sekunde auf. Revolver und Pistolen entwickeln in kräftigen Kalibern (Beispiel: 9 mm Luger, .357 Mag., .45 Auto) auf kurze Distanz eine Zielenergie von 350 bis 850 Joule (J). Die noch leistungsstärkere .44 Mag. ist schwer zu beherrschen (E0 zirka 1 500 J) und für Durchschnittsschützen nicht zu empfehlen. Da die Geschossgeschwindigkeit gering ist (unter 500 Meter pro Sekunde), entsteht keine nennenswerte temporäre Wundhöhle. Die Wirkung beschränkt sich auf mechanische Verletzungen im Bereich des Schusskanals (permanente Wundhöhle). Diese werden wesentlich vom Geschossaufbau beeinflusst.
. Vollmantelgeschosse und Solids erzeugen einen engen Schusskanal. Eventuell auftretende Trudelbewegungen führen bei kompakten Kurzwaffenprojektilen zu keiner wesentlichen  Wund erweiterung.
. Einfache Teilmantelgeschosse reagieren spät. Die zeitlich verzögerte  Verformung hat nur geringe Auswirkungen auf den Wundkanal.
. Hohlspitzgeschosse sprechen aufgrund des „Starttrichters“ deutlich schneller an. Deformation und Splitter führen zu einer Erweiterung der Wunde.
. Hohlspitzgeschosse mit Verbundkern reagieren etwas verzögert. Sie wirken ausschließlich durch Deformation. Ihr stabiler Aufbau garantiert Tiefenwirkung.
. Speziell auf Stopwirkung getrimmte Hohlspitzprojektile mit Kunststoffstarter zeichnen sich durch sofortiges Ansprechen und kräftige Deformation aus. Ihre Tiefenwirkung ist aufgrund des schnellen Aufpilzprozesses eingeschränkt.

Um die unterschiedliche zielballistische Wirkung von Lang- und Kurzwaffen zu prüfen, haben wir eine repräsentative Munitionsauswahl Tests unterzogen. Von einer Ausnahme abgesehen (Telefonbuchbeschuss 9 mm Luger/ Vollmantel) wurde dabei bewusst auf wenig geeignete Voll- und Teilmantelprojektile verzichtet. Ansprechverhalten, Tiefenwirkung und Wundverhalten überprüften wir durch den Beschuss tropfnasser Telefonbücher. Diese sind aufgrund des hohen Flüssigkeitsanteils ein guter „Wildkörperersatz“. Schicht für Schicht abgetragen, gewähren sie Einblick in Form und Ausprägung der permanenten Wundhöhle. Mit Wasserkanistern (zehn Liter) gingen wir der Frage „temporäre Wundhöhle – ja oder nein“ auf den Grund. Ein flüssigkeitsgefüllter Behälter reagiert auf ein eindringendes Projektil ähnlich wie der Wildkörper. Im Gegensatz zum „dehnbaren“ Körper, platzt jedoch der harte Kunststoff aufgrund des enormen Drucks beim Entstehen einer „temporären Wundhöhle“. Fangschusstypisch betrug bei allen Tests die Schussentfernung fünf bis zehn Meter. Aufgrund geringer Stichproben sind die Ergebnisse statistisch nicht abgesichert.
Sie lassen jedoch eindeutige Trends erkennen. Flintenlaufgeschosse fanden in den Tests keine Verwendung.

Fazit: Die Versuchsergebnisse lassen keinen Zweifel an der bevorzugten Fangschusseignung der Büchse aufkommen. Der zuverlässig eintretende Doppeleffekt „permanente und temporäre  Wundhöhle“, ergibt in Verbindung mit hohen Energiewerten ein Maximum an Stop- und Tötungswirkung. Um Sicherheitsrisiken zu minimieren, ist die Geschosswahl der jagdlichen Situation anzupassen. Für Hundeführer empfiehlt sich der Kauf einer kurzen, führigen Nachsuchenbüchse. Reduziert auf die Erzeugung einer permanenten Wundhöhle, ist die Eignung von Kurzwaffen beim Fangschuss eingeschränkt. Vor allem die Stop wirkung lässt zu wünschen übrig. Als Zweitbewaffnung gegen wehrhaftes Wild und bei Wildunfällen ist sie jedoch unverzichtbar. Um ein Maximum an Wundwirkung zu erzielen, empfehlen sich Hohlspitz oder Hohlspitz-Spezialgeschosse. Bei starken Sauen sollten Hohlspitzgeschosse mit Verbundkerntechnik oder verstärktem Mantel zum Einsatz kommen. Von einem  ausschließlichen Einsatz der Kurzwaffe ist jedoch bei Nachsuchen abzuraten.

.308 Win. Sellier&Bellot Exergy 11,7 g (bleifreies Deformations-Vollgeschoss, V0 770 m/ sec., E0 3468 J):

Telefonbuch: Zügiges Ansprechverhalten, Wundhöhle bereits nach 5 cm erheblich vergrößert. Richtungsstabile Eindringtiefe 40 cm, Restgewicht 99,4 Prozent (%)
Kanister: Enorme Druckreaktion, Ausschussseite vollständig aufgerissen, Ausschussloch zirka doppeltes Kaliber
Anmerkung: Patrone lässt gute Stoppwirkung erwarten. Hohe Hinterlandgefährdung und viel Restgewicht und große Eindringtiefe erfordern absolut sicheren Kugelfang

8×57 IS Labor für Ballistik „Nachsuchenpatrone“ 11,3 g (Deformations- Verbundkerngeschoss, V0 810 m/sec., E0 3720 J ):
Telefonbuch: Geschoss pilzt extrem schnell auf, bereits auf den ersten Zentimetern deutliche Erweiterung der Wundhöhle. Richtungsstabile Eindringtiefe 28 cm, Restgewicht 95,2 %
Kanister: Massive Druckreaktion, breiter Riss im Kunststoff, doppelt kalibergroßer Ausschuss
Anmerkung: Gute Nachsuchen- und Fangschusspatrone. Maximale Stoppwirkung bei angepasster Eindringtiefe und minimaler Splittergefährdung

8×57 IS Brenneke TIG 12,8 g (Teilzerlegungs-Mantelgeschoss mit zweigeteiltem Kernaufbau, V0 800 m/sec., E0 4096 J):
Telefonbuch: Geschoss spricht sehr schnell an, bereits nach etwa 5 cm deutlich erweiterte Wundhöhle. Richtungsstabile Eindringtiefe 34 cm, Restgewicht 66,4%
Kanister: Kräftige Reaktion, Kunststoff auf der Oberseite geplatzt, großes Ausschussloch (Splitter)
Anmerkung: Patrone und Geschoss lassen eine hohe Stoppwirkung erwarten. Vorsicht ist bei Personen und Hunden im näheren Umfeld geboten (Splitter).

9,3×62: RWS Evolution 18,8 g (Deformations-Verbundkerngeschoss, V0 730 m/sec.,E0 5009 J):

Telefonbuch: Projektil erzeugt nach einer Startphase von 8 cm eine breite Wundhöhle. Richtungsstabile Eindringtiefe 38 cm, Restgewicht 80,7 %
Kanister: Deutliche Druckverformung, Kunststoff reißt großflächig rund um das Ausschussloch
Anmerkung: Geeignete Fangschuss- und Nachsuchenpatrone für mittleres und schweres Schalenwild. Mäßige Splitterbildung, gesteigerte Hinterlandgefährdung vor allem bei schwachen Stücken durch hohe Eindringtiefe und stabilen Geschossaufbau

9 mm Luger

MagTech Guardian Gold 8,0 g JHP (Hohlspitzgeschoss, V0 334 m/ sec., E0 448 J):
Telefonbuch: Wundhöhle nach 4 cm deutlich erweitert. Richtungsstabile Eindringtiefe 12 cm, Restgewicht 98,75 %
Kanister: Keine Sprengwirkung, Ausschuss 1,4-faches Kaliber
Anmerkung: Gutes und zügiges Ansprechverhalten mit deutlicher Schusskanalerweiterung

Remington Golden Saber Bonded 8,0 g BJHP (Hohlspitz-Verbundkerngeschoss, V0 360 m/sec., E0 521 J):
Telefonbuch: Wundhöhle nur mäßig erweitert, Deformationsstart nach 7 cm. Richtungsstabile Eindringtiefe 16 cm, Restgewicht 100 %
Kanister: Keine Sprengwirkung, Ausschuss 1,5-faches Kaliber
Anmerkung: Gesteigerte Tiefenwirkung, verzögertes Ansprechen bei mäßiger Wunderweiterung

Hornady Critical Defense 7,5 g FTX (Hohlspitz-Spezialgeschoss mit Kunststoffstarter, V0 347 m/sec., E0 450 J):
Telefonbuch: Bereits nach 2 cm kräftige Wunderweiterung. Richtungsstabile Eindringtiefe 8 cm, Restgewicht 97,3 %
Kanister: Keine Sprengwirkung, Ausschuss 1,5-faches Kaliber
Anmerkung: Schnelles Ansprechen und hohe Energieabgabe bei kräftiger Schusskanalerweiterung. Eindringtiefe für starkes Schalenwild gering

.357 Mag.
MagTech Guardian Gold 8,1 g JHP (Hohlspitzgeschoss, V0 402 m/sec., E0 654 J):
Telefonbuch: Mäßige Verbreiterung der Wundhöhle nach 8 cm, richtungsstabile Eindringtiefe 15 cm, Restgewicht 61,4 %
Kanister: Keine Sprengwirkung, Ausschuss 1,2-faches Kaliber
Anmerkung: Geschoss spricht verzögert an, Wundwirkung durch Splitterabgabe verstärkt
Remington Golden Saber 8,1 g HPJ (Hohlspitzgeschoss mit Mantel aus harter Kupfer/Zink-Legierung, V0 372 m/sec., E0 560 J):
Telefonbuch: Geschoss spricht nach 5 cm an, mäßige Verbreiterung der Wundhöhle, richtungsstabile Eindringtiefe 22 cm, Restgewicht 93,1 %
Kanister: Keine Sprengwirkung, Ausschuss 1,4-faches Kaliber
Anmerkung: Gesteigerte Tiefenwirkung, zügiges Ansprechverhalten bei mäßiger Schusskanalerweiterung
Hornady Critical Defense 8,1 g FTX (Hohlspitz-Spezialgeschoss mit Kunststoffstarter, V0 457 m/sec., E0 846 J):
Telefonbuch: Bereits nach 4 cm deutliche Vergrößerung der Wundhöhle, Richtungsstabile Eindringtiefe 16 cm, Restgewicht 97,6 %
Kanister: Keine Sprengwirkung, Ausschuss 1,8-faches Kaliber
Anmerkung: Schnelles Ansprechen und hohe Energieabgabe bei kräftiger Schusskanalerweiterung

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