Ungleiches Doppel

Die richtige Motivation führt zum Erfolg bei der Jagdhundausbildung. Dass dies aber auch eine Frage des Hunde-Charakters ist, zeigt Revierjagdmeister Sascha Schmitt an zwei Hunden, die er zurzeit ausbildet.

 

„Grimm“, ein 13 Monate alter Deutsch-Drahthaar, und „Bella“, eine gleichaltrige Chesapeake-Bay-Retriever-Hündin, wurden ab dem Übernahmetag vom Züchter unter gleichen Bedingungen aufgezogen und auf ihre künftigen jagdlichen Aufgaben geprägt. Lediglich das Jagen an Sauen blieb Drahthaar „Grimm“ alleine vorbehalten. Trotzdem sind die beiden Vierläufer in ihrem Wesen und ihrer bisher ausgeprägten Persönlichkeit sehr unterschiedlich. Dazu sei gleich angemerkt, dass hier kein Stab über eine Rasse gebrochen werden soll. Denn selbst innerhalb eines Wurfes ist jeder Hund ein Individuum und muss auf ganz andere Art und Weise ausgebildet werden. Auch soll kein Vergleich über die Leistungsfähigkeit eines Apportierhundes gegenüber einem Vorstehhund oder umgekehrt getroffen werden. Vielmehr belegen diese beiden Hunde sehr deutlich, dass es aufgrund der unterschiedlichen Wesenszüge nicht möglich ist, jeden Hund auf die gleiche Art und Weise abzurichten, wenn man die feinen Unterschiede in ihrem Wesen erkennt.

Motiviert man den Vierläufer seinem Naturell entsprechend, wird dieser mit Begeisterung die an ihn gestellten Anforderungen erfüllen. Viele Jäger verfahren nach dem Motto: Keine Strafe ist Motivation genug! Sie sanktionieren negatives Verhalten sehr stark, versäumen es aber völlig, ihren Hund für positive Leistungen zu loben. Von Motivation kann bei dieser Philosophie keine Rede sein.

Bis zu einem gewissen Grad würde die Abrichtung von „Grimm“ nach diesem Schema vielleicht auch funktionieren. Spitzenleistungen würde er aber keinesfalls erbringen. Der junge Rüde ist nämlich sehr triebstark und äußerst temperamentvoll. Sein ausgeprägter Bewegungsdrang und sein starker Beutetrieb sind für ihn bei der Arbeit oftmals schon Antrieb und Motivation genug. Von Anfang an zeigte er bei der Feldarbeit eine weiträumige, ausdauernde Suche sowie einen ausgeprägten Finderwillen. Mehr und mehr entwickelte er sich in den vergangenen Monaten zum wahren „Hans-Dampf“. Wo es darum geht, durch Vorwärtsdrang zu glänzen, besticht der junge Hund schon jetzt. Das zeigte sich besonders an Sauen und Raubwild.

Das Problem bei einem Himmelsstürmer wie „Grimm“ sind aber oftmals die Arbeiten, bei denen Konzentration verlangt wird. Arbeiten, bei denen er lernen muss, seine Passion zu zügeln, um erfolgreich zu sein, wie zum Beispiel bei der Schleppen- und Schweißarbeit. Doch auch das Ausarbeiten der Hasenspur gehört zu den Arbeiten, bei denen das Tempo der Läufe mit der Nasenleistung in Einklang gebracht werden muss, und Sorgfalt wichtiger ist als Geschwindigkeit. „Grimm“ folgte der Spur zu Beginn meist nur bis zum ersten Haken, überschoss diesen und fand dann nur schwer wieder den Anschluss. Statt durch ruhiges Bögeln wieder zur Spur zu finden und diese dann konzentriert zu arbeiten, wurde er immer stürmischer und versuchte, durch blinden Aktionismus weiterzukommen. Dadurch ging er zusehends zu einer freien Suche über. Von Spurarbeit konnte dabei nicht mehr gesprochen werden. Manchmal entschied er sich einfach nur für eine Himmelsrichtung und stürmte von dannen. Letztlich hinderte ihn nur die Feldleine daran, sich selbst eine interessantere und selbstbelohnende Beschäftigung, wie „Rehe hetzen“, zu suchen.

Bei ihm bewährte sich das Einarbeiten an der langen Leine. Ohne sie wäre es unmöglich gewesen, ihn zur konzentrierten Spurarbeit zu motivieren. Doch wie lässt sich ein so ungestümes Energiebündel überhaupt auf eine konzentrierte Arbeit einstellen? Eine Bestrafung würde nichts an den gegebenen Tatsachen ändern. Vielmehr bestünde die Gefahr, dass der Hund die negative Sanktion mit der Wittrung des Hasen verknüpft und diese in Zukunft verweigert. Ebenso unangebracht wären anfeuerndes Lob und Hektik des Führers. Das würde lediglich Öl ins Feuer gießen und das überschäumende Temperament noch mehr aufwühlen. „Grimms“ Interesse für die Spur war ja bereits vorhanden. Nun ging es darum, dass der Drahthaar lernt, seine Passion zu zügeln. Je unruhiger „Grimm“ wird, desto ruhiger muss ich nun als Ausbilder werden. Es hatte sich bewährt, ihn auf der Spur so lange abzulegen, bis sich sein Gemüt sichtlich beruhigt hat. Anschließend wurde er in gemäßigtem, ruhigen Ton animiert, die Spur wieder aufzunehmen. Dabei bekam der Hund natürlich nicht die volle Leinenlänge. War er wieder auf der Spur, half leiser Zuspruch.

Wichtig ist, dass dabei der Führer das Tempo vorgibt und nicht etwa der Hund. Sobald „Grimm“ wieder losstürmt, wird er deutlich, aber ruhig, ermahnt. Nur so lernt der ungestüme Hund, dass er Geschwindigkeit, Konzentration und Nasenleistung in Einklang bringen muss. Um die Konzentration des jungen Vorstehhundes zu schulen, wird er täglich ausgiebig in den einzelnen Gehorsamsübungen geschult. Insbesondere das „Gehen bei Fuß“ ist eine hervorragende Übung, bei der sich der Zögling absolut konzentrieren muss. Nur wenn er seinen Fokus vollkommen auf meine Bewegungen richtet, er geradezu versucht, meine nächste Wendung bereits im Ansatz zu erkennen und zeitgleich mit seinem Führer richtig auszuführen, vermeidet er, dass ich ihm wortwörtlich „gehörig auf die Zehen steige“.

Gerade „Grimm“ reagiert stark darauf, wenn sein Führer selbst unruhig oder unkonzentriert ist. Er übernimmt die Unruhe und übertrifft sie manchmal um ein Vielfaches. Daher ist es beim Umgang mit ihm unerlässlich, selbst entspannt und ohne Zeitdruck zu sein. Sehr schnell war klar, dass der junge Drahthaar nicht sehr empfänglich für Belohnungsbrocken ist. Ob Wurst oder Käse – die motivierende Wirkung von Leckerlis während der Arbeit tendiert bei ihm gegen Null. Um ihn also für besonders gute Mitarbeit zu loben, musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. An dieser Stelle mache ich mir seine stark ausgeprägte Führerbindung zu nutze. „Grimm“ ist in einer geradezu unglaublichen Art und Weise zugänglich für jede Form menschlicher Zuneigung. Es ist immer wieder amüsant, wie er es genießt, abgeliebelt zu werden. Auch wenn er bei der Feldarbeit müde wird, lässt er sich mit wenigen Silben wieder aufmuntern. Ein gutes Wort und eine ehrlich gemeinte Umarmung motivieren ihn mehr als eine Fleischwurst.

Von der Chesapeake-Bay-Retriever-Hündin „Bella“ kann man dies allerdings nicht behaupten. Zumindest in diesem Punkt entspricht sie dem Klischee des Retrievers hundertprozentig. Bei ihr geht nicht nur die Liebe durch den Magen. Bei der Chessie-Dame scheint es in erster Linie wichtig zu sein, denselbigen möglichst regelmäßig und reichhaltig zu füllen. Von daher ist klar, dass die Hündin mit einer Futtergabe belohnt wird. Ebenso wie ihre Mutter, soll auch „Bella“ eine Jugendsuche (VJP) absolvieren. Ich erwarte dabei keine Spitzenleistungen und habe bis dato auch noch keinen Ehrgeiz entwickelt, aus dem Apportierspezialisten einen Vollgebrauchshund zu machen. Trotzdem ist es eine gewisse Herausforderung. Spätestens als die Hündin beim Spiel mit der Reizangel eine deutliche Anlage zum Vorstehen zeigte, wollte ich zumindest wissen, wie viel Allrounder in ihr steckt. Mit Sicherheit ist „Bella“ anders aufgewachsen als andere Retriever. ­Neben „Grimm“ und weiteren Vorstehhunden zählen auch Terrier und Stöberhunde zu ihren Spielgefährten. Recht früh musste die zurückhaltende Retrieverhündin lernen, dass sie sich behaupten muss, um in dieser rüpeligen Gesellschaft zu ­bestehen. Zudem wird dem Chesapeake-Bay-Retriever nachgesagt, dass er von allen Retrievern eher das „Raubein“ ist, was letztlich dazu führte, dass ein „Chessie“ zu mir kam. „Bellas“ Stärke ist eindeutig, sich auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren. So lässt sich auch erklären, dass sie im Grundgehorsam sehr schnell gelernt hat. Im Vergleich zu „Grimm“ war sie von Beginn an in der Lage, die Verknüpfung von gegebenem Befehl und erwünschtem Verhalten zügig aufzunehmen.

Selbst das Vorstehen an der Reiz­angel war für sie in kürzester Zeit eine Routineangelegenheit. Bereits bei der ersten Suche zeigte sich aber, dass unser Retrievermädchen bei der Feldarbeit nicht gerade mit unbändiger Passion und wildem Beutetrieb versehen ist. Während „Grimm“ den ersten abstreichenden Fasan lauthals verfolgte, setzte sich „Bella“ auf die Keulen und blickte dem Vogel verträumt hinterher. Auch beim ersten sichtigen Hasen zeigte sie dieses Verhalten.

Schnell war klar, dass der Hund für das Langohr begeistert werden musste. Zunächst versuchte ich, „Bella“ zur Folge zu animieren, indem ich selbst dem Hasen nacheilte. Aber der Hund blieb sitzen und besah sich das Schauspiel. Den nächsten Hasen ließ ich nun von beiden Hunden gleichzeitig sichtig verfolgen. Es funktionierte. Zu meiner Freude stimmte „Bella“ auch noch in den Sichtlaut ihres Gefährten ein und jagte mit ihm.

Die Passion für Meister Lampe war damit geweckt, aber noch lange nicht für seine Spur. Insbesondere an der Feldleine zeigte „Bella“ keinen Drang zur Folge. Dies änderte sich erst, als ich selbst ihr geringstes Interesse für die Spur laut und euphorisch honorierte. Was man beim temperamentvollen „Grimm“ unbedingt vermeiden muss, bringt bei „Bella“ den gewünschten Erfolg: Durch antreibendes Lob lässt sich die Hündin derartig motivieren, dass sie die Spur tüchtig voranbringt. Für Vorstehhundeführer ist dies stark gewöhnungsbedürftig, aber letztendlich heiligt der Zweck ja die Mittel.

Umgekehrt muss die Fehlerkorrektur bei der Hündin zwar konsequent, aber ruhig und keinesfalls zu vehement ausfallen. Zu hartes oder rohes Handeln würde bei „Bella“ einen sofortigen Leistungsabfall bedeuten. „Es ist leichter, einen Hund zu bremsen, als ihn anzuschieben“, lautet eine alte Weisheit, die auch hier noch gilt. Interessant ist, dass sich „Bella“ zwar nur begrenzt für die Spurarbeit begeistert, aber im Wasser eine komplette Wandlung vollzieht: Jeder Schilfgürtel wird von ihr anhaltend und mit beeindruckendem Elan durchstöbert. Bereits mit einem halben Jahr zeigte sie, dass die Wasserarbeit ihr Geschäft zu sein scheint. Dies bestätigte sich mit zunehmendem Alter. Selbst Minusgrade und eine leichte Eisschicht halten die Apportierhündin nicht vom Wasser ab.

In der kommenden Abrichtung muss „Bella“ derart motiviert werden, dass sie nicht nur zuverlässig, sondern auch freudig die Arbeiten ausführt, die sie nicht so sehr mag.

Es gibt kein „Schema F“, nach dem sich jeder Hund gleich gut zu motivierter Arbeit anleiten lässt. Vielmehr braucht es eine gute Beobachtungsgabe und vor allem eine konsequente Umsetzung durch den Hundeführer, damit die gemeinsame Arbeit des Gespanns Freude bereitet und erfolgreich ist.

„Grimm“

Wesen: gut veranlagter Hund mit überschäumendem Temperament, viel Vorwärtsdrang und Schneid

Problem: zu hektisch bei kniffligen Arbeiten, unkonzentriert

Motivation: Beutetrieb

Lob: körperliche Zuwendung, akustische Bestätigung richtiger Handlungen

„Bella“

Wesen: ruhige, zurückhaltende Hündin mit begrenztem Interesse für Spurarbeit

Problem: Spurtrieb   ist   nur schwach ausgeprägt

Motivation: überschwängliche, akustische Unterstützung, Futterbelohnung

Lob: verbal und reichlich Leckerli

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