Wind und Wild Teil 1

Wind und Wild Teil 1
Foto: T.Dillenberger

Schlaue Sauen, ruhige Rehe

Der Wind ist der Freund der Wildtiere. Mit ihrer Fähigkeit, Gerüche zuzuordnen, sind sie uns Menschen weit überlegen. Bei der Wahl des Ansitzplatzes oder der Vorbereitung einer Gesellschaftsjagd, müssen die Luftströme beachtet werden. Ein Wildmeister schildert, was zu beachten ist. Wildmeister Werner Siebern
Grundsätzlich war der Mensch von jeher einer der erfolgreichsten Beutemacher unter allen Säugetieren. Er verstand es, die Wildtiere zu überlisten. Die berechtigte Furcht vor dem Jäger Mensch ist allerdings nicht angeboren, sondern wird von den Elterntieren weitergegeben oder durch eigene Erfahrung erworben. So ist es zu erklären, dass geschützte Wildtiere ihr Fluchtverhalten ganz oder teilweise verlieren.
Vor einiger Zeit saß ich abends zwischen Raps und Wald auf meinem Ansitzstuhl, um am Altgrasstreifen auf einen Keiler zu passen. Der Wind stand in Richtung Wald und war deshalb ideal. Nach wenigen Minuten sah ich im Hochwald einen Jungfuchs, der recht bald Wind von mir bekam. Neugierig kam er heran und setzte sich vor mich.
Noch nie in seinem kurzen Leben hatte er einen Menschen eräugt. Mit seinen blauen Welpensehern äugte er mich an und hielt das Köpfchen schief, als warte er auf eine Reaktion. Ich aber rührte mich nicht. Schon bald begann der Kleine im Gras zu stöbern und jagte Grashüpfer.
Die Geschichte mag zeigen, dass Furcht vor menschlicher Wittrung nicht angeboren ist. Hätte die Fähe in der Nähe ihren Warnschrei losgelassen, wäre der Jungfuchs gleich verschwunden.

Reaktionen
Es ist sicher unmöglich, eine verlässliche Rangliste aufzustellen, aus der hervorgeht, welche Wildarten mehr und welche Arten weniger auf menschliche Wittrung reagieren. Noch schwieriger dürfte es sein, einzuordnen, welche Wildart überhaupt über das beste Riechorgan verfügt. Vor allem bei den Schalenwildarten ist die Fähigkeit, Düfte wahrzunehmen, gleich gut. Auch das Raubwild steht dem in nichts nach.
Leider produzieren wir Menschen, wie alle Säugetiere, körpereigene Abbauprodukte, die aus der Haut entweichen. Dagegen hilft auch kein Waschen, obwohl Waschen nie schadet! Unser ureigener Duft wird mit dem Wind verbreitet. Ein Wildtier ist nicht nur in der Lage, Menschen am Geruch zu erkennen, sondern sogar bestimmte Personen.
Regional sind die Reaktionen auf Düfte völlig unterschiedlich. Gibt es viel Publikumsverkehr, lernt das Wild, sich zumindest tageszeitlich darauf einzustellen: Menschliche Wittrung am Tage: ruhig sitzen bleiben. Menschliche Wittrung am Abend: Flucht! Gerade die Wildarten, denen besonders intensiv nachgestellt wird, reagieren panisch auf menschliche Wittrung.

Bei unklaren Windverhältnissen sollten Nichtraucher einen Test mit Seifenblasen vornehmen
Fotos: Beate Siebern
Schwarzwild
Damit steht zweifelsfrei das Schwarzwild mit seinen Reaktionen beim Wahrnehmen von menschlicher Wittrung auf Platz 1. Dabei geht es nicht nur um die Tatsache, dass Sauen direkt Wind vom Jäger bekommen, sondern auch um dessen Fährte, die er auf einem Waldweg, am Waldrand, in einer Wiese oder auf einem Acker hinterlässt.
Die Klugheit der Schwarzkittel bewirkt immer eine unterschiedliche Einordnung der Wahrnehmungen. Während eine Menschenfährte, die am Abend auf einem Waldweg entstand, von einem später durchziehenden Stück Schwarzwild nicht als Bedrohung angesehen wird, reagiert dasselbe Stück auf eine Menschenfährte, die nachts mitten über einen Acker verläuft, mit Flucht.
Erst kürzlich saß ich bei Mondschein mit dem Ansitzstuhl auf einem frisch bestellten Weizenacker an, weil die Sauen dort zu Schaden gingen. Bereits nach einer Stunde drehte der Wind in Richtung Wald. Da ich von dort die Schwarzkittel erwartete, verließ ich meinen Platz und wechselte zu einem seitlich am Waldrand stehenden Hochsitz.
3 Stunden später erschienen die Sauen. Die beiden Bachen mit strammen Frischlingen kamen jedoch nicht aus dem Wald, sondern mitten aus der Feldflur. Wäre ich nur auf meinem Stuhl sitzen geblieben! Die Rotte querte meine Fährte, verhoffte kurz und ging dann hochflüchtig ab in Richtung offenes Feld.
Das ist typisch für die Schwarzkittel. Sie überlegen nicht lange. Ein einzelnes Stück flüchtet sofort, wenn es menschliche Wittrung bekommt. Die Leitbache einer Rotte bläst erst einmal deutlich, um alle anderen zu warnen. Manchmal reicht auch ein kurzes „Wuff“, um die Fluchtreaktion bei allen auszulösen.
Oft schon habe ich Sauen, weit entfernt, mitten auf dem Acker brechen sehen. Deswegen ist der Zielstock beim Ansitz auf Schwarzkittel im Feld immer mit dabei. Ist die Windrichtung fürs Anpirschen ungünstig, muss die Rotte umschlagen werden. Nach meinen Erfahrungen sind etwa 400 Meter Abstand zu den Sauen ausreichend, aber sicherheitshalber auch notwendig. Das ist oft ein schweißtreibender Marsch, mit dicken Ansitzklamotten eine Rotte zu umschlagen. Belohnt wird der Pirschjäger jedoch, wenn er danach, bei gutem Wind, den Maggiduft der Schwarzkittel in die eigene Nase bekommt.

Rehwild
Die bei uns häufigste Schalenwildart hat ebenso gute Fähigkeiten zu winden wie Sau & Co. Nur die Reaktionen auf die Wittrung des Hauptfeindes fallen sehr unterschiedlich aus. Die menschliche Fährte wird wahrgenommen, jedoch in 90 Prozent aller Fälle nicht als Gefahr empfunden und ignoriert.
Bekommt Rehwild direkten Wind vom Grünrock, springt es sofort ab. Manchmal werden dem Windfang nur Nuancen des gefährlichen Duftes, per Luftbewegung, zugetragen. Das verunsichert junge Ricken und Böcke gleichermaßen. Sie sind sich nicht ganz sicher, recken den Windfang möglichst hoch, versuchen sich der Duftquelle vorsichtig zu nähern, um Klarheit zu bekommen.
Bleibt die Situation unsicher, wird mit Schrecken und Stechschritt reagiert. Letztlich flüchtet dann doch der ganze Sprung. Oft genug bleibt dem Ansitzjäger die Zeit, doch noch Strecke zu machen. Die Überlebenden sind dann jedoch ein ganzes Stück an Erfahrung reicher geworden.

Einzelne Stücke Schwarzwild halten sich nicht lange mit dem Prüfen des Windes auf. Bereits im Zweifel: Flucht!

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