Entenfang – Ohne Pulver und Blei

Entenfang – Noch bis ins letzte Jahrhundert wurden in Vogelkojen Tausende Enten erbeutet. Die gigantischen Anlagen gibt es noch heute. MARKUS DEUTSCH hat zwei Insulaner bei dem Vogelfang auf Föhr begleitet.

Ein Quietschen zerreißt die Stille des sonnigen Dezembermorgens, gefolgt von einem entfernten, aufgeregten Geschnatter. Geräuschvoll klappt Heie Sönksen-Martens den eisernen Steg herunter, der den einzigen Zugang zum kleinen Wäldchen bildet. Wie eine alte Festung ist die inmitten der flachen Marsch gelegene Baumgruppe gegen unbefugtes Betreten gesichert: Ein breiter, tief ausgebaggerter Graben umgibt das Areal. Reet und Büsche verhindern einen Blick in das Innere. Der Steg – normalerweise hochgeklappt und mit einem Schloss gesichert – trägt seitlich eiserne Spitzen, um ein Hinüberbalancieren von ungebetenen Gästen zu verhindern. Sönksen-Martens ist auf dem Weg zur im Wäldchen liegenden Neuen Oevenumer Vogelkoje, denn heute ist sein Fangtag. „Ruhe ist das Wichtigste, damit die Enten auf dem Kojenteich einfallen und dort auch rasten. Der Graben und die hochgeklappte Brücke halten Störenfriede draußen“, flüstert der Tischler im Ruhestand. Die zahmen Lockenten kennen das Quietschen der rostigen Stegscharniere und schnattern aufgeregt. Sie wissen, dass es gleich etwas zu fressen gibt. Das Recht, in einer der letzten Vogelkojen Enten nachzustellen, steht nur den „Interessenten“ zu. So nennt man die Nachfahren der Föhrer, die 1789 diesen Entenfang errichtet haben. Derzeit verteilen sich die Anteile auf 30 Eigentümer, die in acht sogenannte Parten unterteilt sind. Jedes Part bekommt während der Fangsaison vom 15. Oktober bis zum 15. Dezember reihum bestimmte Fangtage zugewiesen. Der erste Weg führt den Föhrer zu dem kleinen, reetgedeckten Kojenhaus unmittelbar neben einer Pfeife. So werden die Fanggräben genannt, die von den Ecken des Teiches ausgehend in ei- nem Fangkorb enden. Aus einer Tonne scheffelt Sönksen-Martens ein paar Hände voll gequetschtes Getreide in einen Eimer. Auf dem Weg zum Teich kontrolliert er noch kurz die Klappe am Ende der Pfeife, damit gleich alles rund läuft.
Entenfang
Ein paar vorwitzige Lockenten haben sich bereits in den mit Netzen überspannten Fanggraben vorgewagt. Sie folgen dem Insulaner in Richtung der offenen Wasserfläche. Aus Reet gefertigte Sichtblenden verhindern, dass die Schnatterer den nahenden „Interessenten“ zu früh erblicken. Durch ein kleines Guckloch späht er auf den Kojenteich. „Ah, wir haben Besuch“, freut sich der Föhrer und meint damit die wilden Stockenten, die die Nacht über in der Koje gerastet haben. Vorsichtig öffnet er die Blende und wirft Futter auf das Wasser. Die zahmen Stockenten stürzen sich sofort darauf. Dadurch verlieren auch die wilden Verwandten ihre Scheu und folgen ihren Artgenossen. Langsam geht Sönksen-Martens in Richtung Pfeifenende. Dabei streut er immer wieder Getreideflocken in den Fanggraben. Eifrig fressend und schnatternd folgt die Entenschar. „Früher wurden meistens Krickenten gefangen, heute nur noch Stockenten“, sagt der Föhrer und achtet darauf, dass auch alle Breitschnäbel folgen. In den vergangenen Jahrhunderten fingen die Föhrer in den sechs auf der Insel liegenden Kojen das Wasserwild massenhaft und nicht selektiv. Eine jährliche Ausbeute von 15 000 Enten pro Koje war keine Seltenheit. In guten Jahren fing man bis zu 60 000, darunter Pfeif-, Spieß- und Stockenten. Den weitaus größten Teil machten jedoch die Krickenten aus. Um der Menge an Wildbret Herr zu werden, gründete ein findiger Kaufmann aus Wyk 1885 eine Wildenten- Konservenfabrik. Pro Jahr wurden bis zu 40 000 verarbeitet und, in Dosen eingeweckt, in alle Welt vermarktet. Auf den Schiffen der „Hamburg-Amerika- Linie“ kamen sie als Delikatesse sogar zum Kapitänsdinner auf den Tisch.
Heute dürfen die Friesen noch in vier Vogelkojen der Insel ausschließlich Stockenten fangen. Es sind deutschlandweit die letzten betriebenen Einrichtungen dieser Art. Allerdings ist bei 600 Enten Schluss. Mehr dürfen nicht gefangen werden. Tatsächlich gingen den Föhrern in den vergangenen Jahren im Schnitt nur noch 200 Wildenten jährlich auf den Leim. Sollten sich mal Vertreter anderer Entenarten in die Pfeifen verirren, kann der jeweilige „Interessent“ sie problemlos und unbeschadet aus dem Fangkorb in die Freiheit entlassen. Zudem dient der Entenfang der Wissenschaft: Die Inselfriesen schicken regelmäßig Mägen und Kotproben der gefangenen Breitschnäbel an die Bundesforschungsanstalten in Eberswalde und Greifswald, wo Wissenschaftler sie auf Bleibelastung und Viruserkrankungen untersuchen. Sönksen-Martens ist am Ende der Pfeife angekommen. Mittlerweile ist auch Hansi Ketelsen, ein befreundeter Jäger, eingetroffen. Er will seinem Kollegen beim Fangen zur Hand gehen. „Ein paar wilde sind dazwischen“, informiert der „Interessent“ seinen Freund, während er die letzten Getreidereste aus dem Eimer in den Fangkorb wirft. Jetzt wird es ernst. Über eine kleine Holzrampe watscheln drei Erpel in Richtung Fangkorb. Eifrig picken sie das Futter auf. Über ihnen hängt das Holzbrett, das den Weg zurück versperren wird. Die erfahrenen Lockenten halten sich zurück und bleiben auf dem Wasser. Sie wissen, was den wilden Artgenossen blüht und dass gleich die Klappe fällt. Sönksen-Martens hält bereits die Schnur in der Hand. Er wartet nur darauf, dass der letzte der drei Erpel weit genug im Fangkorb ist. Mit einem dumpfen Poltern saust das Brett herunter. Nur kurz schnattert die Entenschar beunruhigt, dann geht die Suche nach übersehenen Getreideflocken weiter. Nun kommt Ketelsen zum Einsatz. Vorsichtig öffnet er den Fangkorb und greift einen Erpel heraus. Dann geht alles ganz schnell: Mit der rechten Hand hält er den Erpel fest, mit der linken greift er gekonnt über den Kopf des Breitschnabels. Eine kurze Handbewegung und der Schnatterer ist tot. Auch die beiden anderen Wildenten wringelt der Jäger. Langsam rudern die Lockenten wieder aus der Pfeife hinaus auf die offene Wasserfläche. Sie haben ihren Dienst für heute getan. Sönksen-Martens trägt noch schnell sein Fang ergebnis im Kojenhaus in eine Liste ein. „Ich geh schon mal zum Steg. Die Enten nehm‘ ich mit“, ruft ihm Ketelsen von draußen zu. Nachdem der „Interessent“ der bürokratischen Pflicht Genüge getan hat, folgt er seinem hilfsbereiten Freund. „Es hätten auch zwei mehr sein dürfen, aber immerhin“, kommentiert Sönksen-Martens den Fang, während er den hochgeklappten Steg anschließt. „Komm Du man heute Abend vorbei. Dann lassen wir uns die drei richtig schmecken.“

H I S T O R I E
Vom Massenfang zum Naturschutz

Ursprünglich kamen die Vogel kojen aus den Niederlanden. Dort wurde der Fang der Zugvögel schon im 16. Jahrhundert entlang der Küste in großem Stil betrieben. Die Enten wurden nicht nur zum frischen Verzehr gefangen, sondern auch eingepökelt und in Fässchen exportiert. Auf diese Zeit gehen auch die ersten Entenfänge in Deutschland zurück. So wird ein Entenfang bei Torgau, der der Versorgung des kursächsischen Hofes mit Wildenten diente, schon im Jahr 1557 erstmals urkundlich erwähnt. Im 17. Jahrhundert kam es dann zur Errichtung mehrerer Entenfänge in Deutschland nach niederländischem Vorbild, so im münsterländischen Landersum, in Herrenhausen bei Hannover oder in Wesseling bei Köln. Während dort immer die Versorgung adeliger Höfe im Vordergrund stand, errichteten friesische „Unternehmer“ Entenfänge auf den Inseln Föhr, Amrum, Nordstrand, Pellworm und Sylt. Die Fangstrecken waren teilweise gewaltig: So wurden auf Amrum jährlich rund 6 000, auf Sylt durchschnittlich mehr als 13 000 und in den sechs Vogelkojen auf Föhr in guten Jahren bis zu 60 000 Enten gefangen. In den benachbarten Niederlanden gab es 1938 noch 220 Vogelkojen, im Jahr 1960 nur noch 120. Sie wurden zum größten Teil in Flussdeltas, im Bereich der Nordseeküste und auf den Friesischen Inseln angelegt. Mitte des 20. Jahrhunderts fing man dort durchschnittlich 300 000 Enten. Teilweise sind diese Anlagen im Nordseeraum bis heute erhalten. Die einzige noch im deutschen Binnenland existierende Entenkoje ist der „Entenfang Boye“ in der Nähe von Celle. Einzigartig auch deshalb, weil hier eine Einrichtung zum Massenfang durch das Engagement von Jägern im Laufe der Jahrhunderte zu einem Wildschutzgebiet von hoher Bedeutung geworden ist. Der heutige „Entenfang“ ist ein Teichgebiet von rund 70 Hektar Größe. Der Fang und das Schlachten von Enten wurde dort bis 1936 betrieben. Die jährlichen Strecken lagen bis dahin bei rund 2 500 Stück. Von da ab erfolgte eine komplette Umorientierung. Die gefangenen Enten wurden mit Ringen der Vogelwarte Helgoland versehen und wieder fliegen gelassen. Von rund 6 000 beringten Stockenten wurden 1 000 gemeldet – eine beeindruckende Quote. Bis 1980 führte Dr. Jobst Barckhausen diese Beringungen mit seinen Gehilfen durch. Rückmeldungen kamen aus Nordrussland, Italien, Böhmen, Irland, Nordfrankreich und vom Bosporus. 50 Prozent der Enten waren in Deutschland erlegt oder gefunden worden, 25 Prozent in den Niederlanden. Dr. Iris Barckhausen- Kiesecker, die Tochter von Jobst Barckhausen, ist mittlerweile die Eigentümerin vom „Entenfang“. Die Tierärztin verfolgt die Ziele ihres Vaters mit sehr viel Idealismus weiter: „Naturschutz ist das, was wir machen wollen.“ mh

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